GMP-Erkenntnisse – Praktischer Leitfaden – Schritt für Schritt Teil 2
In den meisten wichtigen Märkten regeln Richtlinien wie und unter welchen Bedingungen Arzneimittel und Wirkstoffe entwickelt, hergestellt, verpackt, gelagert und transportiert werden müssen, um die Hochwertigkeit der Produkte und damit deren gleichbleibende Wirkung und Sicherheit zu gewährleisten.
Diese Richtlinien werden als Gute Herstellungspraxis für Arzneimittel und Wirkstoffe (Good Manufacturing Practice – GMP) bezeichnet. Da Wirkstoffe und Arzneimittel zunehmend im Ausland gefertigt werden und auf ihrem Weg zum Patienten meist lange Transportstrecken zurücklegen, gibt es ausserdem Richtlinien für die Lagerhaltung und den Transport von Arzneimitteln, die als Good Distribution Practice-Regeln (GDP) bezeichnet werden.
Dieser Artikel beschreibt, wie der strikte Einsatz dieses Regelwerks, zum Schutz der Patienten, oberste Priorität bekommt. Diese Vorschriften gelten, gleichgültig, ob wir selbst Arzneimittel herstellen, sie verpacken, sie prüfen, lagern oder transportieren oder ob wir dabei Zulieferer von Hilfsstoffen, Wirkstoffen, Packmaterialien, Maschinen oder Geräten sind.
Teil 1 dieser Reihe, Die Geschichte der Guten Herstellungspraxis GMP: Lehren aus GMP-Fehlern Teil 1 von 3, wurde am 19. September 2019 veröffentlicht.
Kernkomponenten von GMP
Bei allen Regularien, einschliesslich GMP und GDP, kommt es nur auf eines an: Die Qualität der Medikamente muss während der gesamten Herstellung und Verteilung einwandfrei sein, um die Sicherheit für den Patienten zu gewährleisten.
Somit befassen sich die GMP-Regeln im Wesentlichen mit Aspekten und Prozessen rund um das Produkt sowie um die nachfolgenden Kapitel:
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Qualitätssystem
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Personal und Verantwortung
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Räumlichkeiten und Ausrüstung
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Dokumentation
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Produktion und Verpackung
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Qualitätskontrolle
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Ausgelagerte Aktivitäten
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Konformität und Beanstandungen
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Audits und Selbstinspektion
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Audits und Selbstinspektion
Dieser Artikel wird die Kapitel 1 bis 3 im Detail behandeln, wie die Vorschriften in der täglichen Arbeit genutzt werden können. Teil 3 dieser Serie befasst sich mit den Kapiteln 4 bis 10.
GMP betrifft somit jeden einzelnen Mitarbeitenden, der entlang der Prozesskette der Arzneimittelherstellung beteiligt ist: vom Wirkstofflieferanten, über Einkauf, Lagerhaltung, Technik, Verarbeitung, Verpackung, Kontrolle bis hin zu Versand und Transport.
Dabei ist „Qualität“ das Ergebnis von Teamarbeit: Jede einzelne Arbeit muss täglich korrekt durchgeführt werden, auch wenn sie auf den ersten Blick „unbedeutend“ erscheint. Nachfolgend sind somit die wichtigsten GMP-Anforderungen kompakt (aber nicht abschliessend) aufgeführt.
1. Qualitätssystem
1.1 Arzneimittelqualität
Die Qualität von Arzneimitteln und Wirkstoffen darf kein Zufallsprodukt sein, sondern das Ergebnis sorgfältiger Planung, korrekter Durchführung, guter Dokumentation und systematischer Überwachung. Qualität ist dabei nicht diskutierbar: Welche Qualität eingehalten werden muss, ist genau in den Zulassungsunterlagen beschrieben, die bei den Behörden eingereicht wurden. Bevor eine Arzneimittelcharge für den Verkauf freigegeben wird, überprüft die sogenannte Sachkundige Person (Qualified Person – QP), ob auch tatsächlich alle diese Qualitätskriterien exakt eingehalten wurden. Die Verantwortung für Qualität endet hierbei nicht an der Verladerampe: Auch Lagerhaltung, Transport und Vertrieb müssen so geplant und kontrolliert werden, dass die Arzneimittel nicht verderben können oder verwechselt werden. Dies ist detailliert in den GDP-Richtlinien vorgegeben und beschrieben.
1.2 Qualitätsmanagement
Hersteller von Arzneimitteln oder Wirkstoffen sind aufgefordert, schriftlich festzulegen, wie die Integrität der von ihnen gehandhabten Arzneimitteln gewahrt wurde. Auch Firmen, die nur einzelne Herstellungs- oder Verpackungsschritte im Auftrag durchführen (Outsourcing), müssen genau beschreiben, wie sie die von GMP und GDP und damit die vom Gesetzgeber geforderte Qualität zuverlässig sicherstellen. Der Auftraggeber trägt dabei weiterhin die Verantwortung dafür, dass der Auftragnehmer eben diese nötige Qualität auch abliefert. Somit ist Qualitätskontrolle ein wichtiger Bestandteil des Qualitätsmanagementsystems, aber nicht der einzige.
Andere wichtige Elemente sind z.B. die sorgfältige Dokumentation, die Qualifizierung (siehe Punkt 3.5) von Gebäuden, Geräten, Maschinen, Personal und Lieferanten, Auditing, der korrekte Umgang mit Änderungen und Fehlern sowie das Validieren von Verfahren. Um Qualität gezielt planen zu können, ist es wichtig, ständig die aktuellen Daten bei Herstellung, Verpackung, Wartung, Lagerhaltung oder Prüfung aufzuzeichnen (auf Papier oder im Computer). Diese Daten müssen fortlaufend ausgewertet werden (Trending, Product Quality Review – PQR), um Schwachstellen zu entdecken, Fehlern vorzubeugen und Prozesse zu verbessern (kontinuierlicher Verbesserungsprozess – KVP).
Die Leitung des Betriebes (als verantwortliche Stelle) wird über die Ergebnisse dieser periodischen Produktqualitätsüberprüfungen (PQR) informiert. Das Ziel ist, mögliche Gefahren für die Qualität unverzüglich zu erkennen und zu beseitigen.
1.3 Qualitätsrisikomanagement
Nicht alle Medikamente sind vergleichbar: Manche Arzneiformen sind schwierig herzustellen oder bergen besondere Risiken für den Patienten, z.B. sterile Arzneiformen (Augentropfen, Injektionen, Infusionen). Deshalb muss jedes Unternehmen seine Verfahrensabläufe genau auf die jeweiligen Medikamente abstimmen und schriftlich begründen, wie es sämtliche Qualitätsrisiken beherrscht (Qualitätsrisikomanagement).
Es reicht nicht aus, sich auf die Produktion von Endprodukten zu konzentrieren: Die Qualität kann während der Entwicklung von Wirkstoffen und während des Entwicklungsprozesses von Medikamenten beeinträchtigt werden. Daher gelten GMP-Anforderungen, die das Medikament während seines gesamten Lebenszyklus begleiten – von der Entwicklung bis zum Konsum.
1.4 Change Control (Lenkung von Änderungen)
“Compliance“, also die Übereinstimmung mit Vorschriften, bedeutet, dass sich jeder exakt an die gültigen Arbeitsanweisungen halten muss: vereinfachte Arbeitsabläufe, Verbesserungen oder andere Änderungen sind nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung erlaubt. Bevor aber eine Änderung an Methoden, Verfahren, Vorschriften, Einsatzstoffen, Räumen oder Anlagen durchgeführt werden kann, muss ein Team aus Experten genau evaluieren, welche Folgen diese Änderung für die Arzneimittelqualität haben könnte. Zwangsläufig haben Änderungen auch immer Einfluss auf das Produkt und müssen entsprechend identifiziert, bewertet und dokumentiert werden. Auch ungeplante Änderungen, z.B. im Rahmen einer Reparatur oder einer grösserer Instandhaltungsmassnahme, müssen nachträglich in gleicher Weise überprüft und bewertet werden. Diese Untersuchung erfolgt bereichs-/abteilungsübergreifend und betrachtet neben der Produktion auch Ingenieurwesen, Validierung, Qualitätskontrolle, Qualitätssicherung und Zulassung. Bei der Überprüfung wird festgestellt, ob eine Requalifizierung (Anlagen) (siehe Punkt 3.5), Revalidierung (Verfahren) oder eine Änderungsanzeige bei den Zulassungsbehörden erforderlich ist. Vor jeder Umsetzung müssen Änderungen zwingend schriftlich genehmigt und festgelegte Massnahmen (beispielsweise Requalifizierung) ergriffen werden. Antrag, Prüfung, Genehmigung, Folgemassnahmen und Umsetzung der Änderung müssen bewertet und protokolliert werden und alle Informationen müssen leicht auffindbar sein.
1.5 Abweichungen, Fehler und "Out-Of-Specification" (OOS)
Trotz sorgfältigster Planung und gewissenhafter Arbeit kann es in jedem Betrieb zu jeder Zeit Abweichungen und Fehler geben – das ist letztlich unvermeintlich. Entscheidend in solchen Situationen ist dabei stets, richtig zu handeln: Eine dokumentierte und untersuchte Abweichung bzw. ein Fehler ist kein „Verstoss“; unentdeckte oder übergangene Abweichungen und nicht gemeldete Fehler hingegen sind Verstösse und können zu erheblichen Qualitätsmängeln führen – und diese wiederum könnten Patienten in Gefahr bringen oder aber Kosten für Lieferausfall und Vernichtung verursachen (siehe dazu erster Teil des Artikels: Lehren aus GMP-Fehlern.
Wer eine Abweichung entdeckt, muss diese dem Vorgesetzten melden und sie zeitnah und umfassend dokumentieren, unabhängig davon, ob er sie verursacht hat oder nicht. Das gilt für jede noch so kleine Abweichung — niemand darf selbst entscheiden, ob etwas „wohl nicht so schlimm“ ist. Das gilt für alle Abweichungen, Mängel oder Fehler, welche während der Produktion oder Qualitätskontrolle festgestellt werden.
In einer Standardverfahrensanweisung (Standard Operating Procedure – SOP) sollte das Vorgehen klar geregelt und beschrieben werden, wer anschliessend die Abweichung bewertet und wer weitere Entscheidungen treffen darf bzw. muss.
Besondere Regeln gelten, wenn ein analytisches Testergebnis ausserhalb des vorgegebenen Bereiches (Spezifikation) liegt: dafür gibt es eine spezielle OOS-SOP. Auf keinen Fall darf man die Analysen so oft wiederholen, bis man zufällig Ergebnisse erhält, die mit den Spezifikationen übereinstimmen (testing into compliance). Dies kann ebenfalls die Patientensicherheit ernsthaft gefährden und bedeutet somit Gefahr für Leib und Leben.
1.6 Fehlerursachenanalyse und Folge-/Korrekturmassnahmen (Corrective and Preventive Actions – CAPA)
Alle Abweichungen oder Fehler müssen gründlich untersucht werden. Ziel ist es, die Ursache zu identifizieren (Fehlerursachenanalyse; Root Cause Analysis) und Vorkehrungen zu treffen, um eine Wiederholung zu vermeiden. Es geht hierbei ganz klar nicht um Schuldzuweisungen. Nur wenn die Ursache bekannt ist, können sinnvolle Massnahmen getroffen werden, damit sich dieser oder ein ähnlicher Fehler nicht wiederholen. Falls erforderlich, werden die Untersuchungen bereichsübergreifend (z.B. Produktion, Qualitätskontrolle, Qualitätssicherung, Technik, Entwicklung) durchgeführt. Falls die Ursachen nicht eindeutig identifiziert werden können, muss auch dies entsprechend dokumentiert werden. Die Untersuchungen, sowie evtl. festgelegte Korrekturmassnahmen werden von den verantwortlichen Personen (z.B. Sachkundige Person, Leiter der Herstellung, Leitung Qualitätskontrolle) überprüft.
Alle Untersuchungen müssen innerhalb einer festgelegten angemessenen Frist abgeschlossen und berichtet/dokumentiert werden (Abweichungsbericht bzw. Fehlerursachenanalyse; Failure Investigation Report – FIR). Falls die Untersuchung nicht innerhalb dieser Frist abgeschlossen werden kann, muss zumindest ein Zwischenbericht erstellt werden. Abweichungen/Fehlchargen müssen im Hinblick auf Tendenzen untersucht werden und im Rahmen der periodischen Produktqualitätsüberprüfungen (Product Quality Review – PQR) bewertet werden.
1.7 Schutz vor Arzneimittelfälschungen
Der internationale Handel mit Wirkstoffen und Arzneimitteln erleichtert es Kriminellen, Arzneimittel durch wirkungslose oder schädliche Fälschungen zu ersetzen oder zu vermischen. Qualität bleibt bei Fälschungen selbstredend unbeachtet und das kann Patienten entsprechend in Lebensgefahr bringen. Jede Pharmafirma ist gesetzlich verpflichtet, alles zu tun, damit die eigenen Produkte möglichst schwer nachzuahmen sind.
Seit Februar (2019) trift nun neu auch die Serialisierungspflicht als gesetzliche Anforderung auf alle Hersteller innerhalb der EU und USA zu. Die Serialisierung (also Rückverfolgbarkeit über die gesamte Lieferkette) soll Arzneimittelfälschungen entgegenwirken und damit gleichfalls die Patientensicherheit gewährleisten. Dies wird erreicht über die Anbringung von Sicherheitsmerkmalen auf jeder einzelnen Packung (maschinenlesbarer, serialisierter Code zur Identifikation der Echtheit nach Datenbankabgleich an jeder Stelle und zu jeder Zeit) sowie die Anbringung einer Vorrichtung, die es ermöglicht, Manipulation der äusseren Verpackungshülle erkennbar zu machen.
Die Regularien zur Serialisierung von Medikamenten sind somit vielleicht die wichtigsten Kriterien in der globalen Vermarktung von Arzneimitteln und anderen Pharmalösungen. Bedingung für die optimale Umsetzung ist ein hochaktueller und lückenloser Kenntnisstand der entsprechenden Pflichten für die Pharma Serialisierung.
Da schon Wirkstoffe und Hilfsstoffe gefälscht sein können, dürfen sie nur aus zuverlässigen Quellen bezogen werden, die zuvor genau überprüft wurden.
Lagerung und Transport von Wirkstoffen und Arzneimitteln müssen gut überwacht und sicher erfolgen, damit sie vor unbefugtem Zugriff, Diebstahl oder Austausch geschützt sind. Siegelmarken, Verklebungen oder Umhüllungen machen sichtbar, ob eine Arzneimittelpackung seit der Herstellung geöffnet und evtl. der Inhalt verändert oder ausgetauscht wurde.
2. Personal
2.1 Training (Schulung)
Es ist unabdingbar, dass alle Personen - einschliesslich die Mitarbeitenden von Fremdfirmen - sämtliche Arbeitsanweisungen und Vorschriften kennen, die sie für ihre Arbeit benötigen. Denn jeder Einzelne muss verstehen, wofür er verantwortlich ist und wie die Qualität der Medikamente beeinträchtigt werden kann. Damit jeder fortlaufend die für ihn notwendigen Schulungen erhält, soll es einen Schulungsplan/eine Qualifikationsmatrix geben.
Der Schulungsplan legt hierbei fest, wie jeder Mitarbeitende in GMP/GDP und in den internen Betriebsabläufen geschult wird, die er/sie zu verrichten hat. Auch das Training für neues Personal ist im Schulungsplan geregelt. Alle Mitarbeitenden müssen regelmässig und gemäss Schulungsplan GMP-Schulungen (z.B. über SOPs, Hygiene und Dokumentation, CAPA, Änderungen) erhalten.
Es ist wichtig, diese Kenntnisse fortlaufend aufzufrischen und zu vertiefen und auf aktuelle Änderungen, z.B. in SOPs hinzuweisen. Es ist auch wichtig, dass die Mitarbeitenden regelmässig und innerhalb der festgelegten Fristen an Schulungen teilnehmen und das Geschulte in die arbeitstägliche Praxis umsetzen. Inhalte und die Teilnehmer jeder Schulung müssen dokumentiert werden. Die verantwortlichen Personen sind verpflichtet zu überprüfen, ob die Schulungsinhalte verstanden wurden; dies kann gleich nach einer Schulung oder später direkt am Arbeitsplatz erfolgen (Erfolgskontrolle). Bei Nichtbestehen ist die Schulung zeitnah zu wiederholen und die Erfolgskontrolle erneut zu absolvieren.
2.2 Verantwortung
Jeder Mitarbeitende ist persönlich dafür verantwortlich, dass er die GMP- und GDP-Regeln kennt, einhält (GMP/GDP-Compliance) und dass er sich im Herstellungsbereich hygienisch verhält. Dazu gehört das Duschen, Händewaschen und Händedesinfizieren vor Arbeitsantritt, korrektes Tragen der GMP-Kleidung, kein Schmuck, Essen, Kauen und Rauchen im GMP-Bereich, kein Kontakt mit offenen Produkten und das Melden von Infektionskrankheiten. Jeder Einzelne ist dafür verantwortlich, dass er die ihm übertragene Aufgabe genau gemäss genehmigter Vorschrift (Anweisung, SOP) ausführt und leserlich sowie wahrheitsgemäss protokolliert. Das gilt für alle Arbeiten im GMP-Bereich wie: Reinigungsarbeiten, Wartungsarbeiten, Kalibrierarbeiten, Kontrollschritte, Überwachungen, Tätigkeiten in Lager und Logistik.
Ferner muss jeder - unabhängig vom Verursacher - Abweichungen, Mängel, Maschinenfehlfunktionen, Fehler oder unerklärliche Beobachtungen dokumentieren und dem Vorgesetzten unverzüglich melden.
Niemand darf Änderungen an Vorschriften, Protokollen, Anlagen, Software oder Prozessen durchführen, bevor sie ausdrücklich genehmigt sind. Das Change-Control-Verfahren muss zwingend eingehalten werden. Personen in bestimmten Funktionen (z.B. Sachkundige Person, Leiter der Herstellung, Leitung der Qualitätskontrolle) tragen zusätzlich besondere Verantwortung. Sie müssen sich daher vergewissern, dass ihre Anweisungen verstanden und befolgt werden und treffen Entscheidungen bei Abweichungen.
2.3 Compliance
Compliance bedeutet: Einhalten von Vorschriften. Jedes Unternehmen, das mit Arzneimitteln zu tun hat, muss die dafür aktuell gültigen gesetzlichen Vorgaben ständig und genauestens einhalten.
Jeder Mitarbeitende muss somit die für seinen Arbeitsplatz gültigen Arbeitsanweisungen, SOPs und Vorschriften täglich genau einhalten – auch wenn gerade kein Vorgesetzter anwesend ist oder die Zeit drängt. Behörden und Kunden prüfen bei Inspektionen und Audits, ob Pharmafirmen und ihre Mitarbeitenden sämtliche Vorschriften einhalten.
3. Räumlichkeiten und Ausrüstung
3.1 Gebäude und Räume
Für die Produktion von Arzneimitteln und Wirkstoffen dürfen nur ausreichend qualifizierte Räume mit geeigneten und qualifizierten Versorgungsanlagen, z.B. Klima-, Lüftungsanlagen, Wasserleitungen, verwendet werden. Für Gebäude und Räume muss ein regelmässiges Wartungsprogramm vorliegen. Durchgeführte Wartungsarbeiten müssen protokolliert werden. Die Zuständigkeiten sollten in einem Wartungsplan definiert sein. Die Umgebungsbedingungen (z.B. Temperatur, Luftfeuchte, Partikelzahl/Partikelbelastung) müssen überwacht und kontrolliert werden; die Aufzeichnungen müssen leicht auffindbar und abrufbar sein.
Änderungen an Gebäuden oder Räumen, die Einfluss auf Prozessabläufe oder Prozessbedingungen haben könnten, müssen einem Change-Control-Verfahren (Lenkung von Änderungen) unterzogen werden. Um die Verunreinigung eines Produktes mit einem anderen Wirkstoff (Kreuzkontamination, Cross Contamination) zu vermeiden, darf nur ein Produkt pro Raum bearbeitet werden. Danach muss der Raum vollständig vom Produkt, aber auch von Mustern und Abfällen befreit und gereinigt werden, bevor darin ein anderes Arzneimittel bzw. ein anderer Wirkstoff hergestellt oder verpackt wird. Alle Betriebsräume müssen gemäss ihrem Betriebszustand gekennzeichnet sein, z.B. gereinigt, in Wartung, in Betrieb (idealerweise mit Angabe zum aktuell laufenden Produkt/Prozess). Um Verwechslungen oder Untermischungen zu vermeiden, dürfen in Herstellungs- oder Verpackungsbereichen nur solche Materialien bereitstehen, die für den jeweiligen Verarbeitungsschritt benötigt werden.
3.2 Reinigung und Hygiene
Verunreinigungen in Arzneimitteln können Patienten entweder direkt schaden, wie z.B. Reste vom Vorprodukt (Kreuzkontamination), Splitter oder Krankheitserreger, oder das Produkt verderben, sodass es nicht mehr wirkt, wie z.B. Mikroorganismen, Staub, Reste von Wasser oder Reinigungsmitteln. Deswegen ist es essentiell, dass Reinigungs- und Hygienevorschriften von allen Personen strikt befolgt werden, die in GMP-Bereiche eintreten.
Alle Bereiche in Produktion, Qualitätskontrolle und Lager müssen in einem guten, aufgeräumten und sauberen Zustand sowie ungezieferfrei sein. Alle Personen im Herstellungsbereich müssen die gängigen Bekleidungsvorschriften unbedingt befolgen (z.B. Reinraumkleidung). Besonders wichtig ist, dass die Bekleidung immer korrekt und vollständig geschlossen getragen wird. Auch wenn eine Hygienezone nur kurzfristig betreten oder verlassen wird, muss die vorgeschriebene Kleidung an- bzw. abgelegt werden. Dies gilt ebenfalls für Mitarbeitende von Fremdfirmen und für Besucher. Eine genaue Unterweisung und Überwachung ist somit unerlässlich.
Die Reinigung und Desinfektion der Hände ist eine effiziente Massnahme, um die Verbreitung von Mikroorganismen und Viren zu reduzieren. Deswegen muss nach Verlassen der Sanitärbereiche und bei jedem Eintritt in GMP-Zonen auf sorgfältige Händehygiene geachtet werden. Dazu ist ein Hygieneplan anzufertigen; die Mitarbeitenden sind entsprechend zu schulen und zu überwachen. Zur Händehygiene sollten geeignete Mittel zur Verfügung stehen und periodisch gewechselt werden, um Resistenzen zu vermeiden.
In reinen Bereichen und besonders in der Nähe von offenen Produkten oder produktberührenden Anlagenteilen ist hygienisches Verhalten Pflicht. Dazu gehört selbstverständlich das Einhalten von Verboten wie: nicht essen, nicht trinken oder kauen, nicht kratzen, husten und niesen vermeiden, nicht über offene Gebinde oder Anlagenteile beugen. An offenen Anlagenteilen sollen stets ein frischer Mundschutz und frische Handschuhe getragen werden.
Die Reinigungsvorschriften für Räume, Anlagen und Ausrüstung legen genau fest, wie häufig und mit welchen Materialien / Reinigungsmitteln gereinigt werden muss. Es ist unabdingbar, dass diese Vorschriften präzise befolgt werden, z.B. dass Reinigungsmittel immer exakt nach Vorschrift verdünnt werden, und dass genau so lange gereinigt wird, wie vorgeschrieben. Eingesetzte Reinigungsutensilien (wie Putzlappen) dürfen nicht feucht aufbewahrt werden. Einmalartikel sind sofort zu entsorgen. Mehrfachartikel müssen desinfiziert bzw. sterilisiert und trocken aufbewahrt werden. Verdünnte Reinigungs- und Desinfektionsmittellösungen dürfen nur so lange aufbewahrt werden, wie auf dem Etikett angegeben ist.
>3.3 Geräte, Maschinen, Anlagen
In der Produktion und Qualitätskontrolle dürfen nur qualifizierte (siehe Punkt 3.5) Anlagen und Geräte mit validierten Verfahren eingesetzt werden. Alle Anlagen, Anlagenteile und Messstellen müssen dafür eindeutig identifizierbar sein (Geräte-ID) und gemäss Wartungsplan instandgehalten werden. Alle ausgeführten Wartungs- und Reparaturarbeiten sind zu protokollieren. Gerätelogbücher müssen unverzüglich und detailliert entsprechend den durchgeführten Tätigkeiten ausgefüllt und auf Stand gehalten werden. Die Regeln der guten Dokumentationspraxis sind hierbei einzuhalten.
Die Reinigung der Anlagen erfolgt gemäss detaillierter Vorschrift (Reinigungs-SOPs). Nach der Reinigung von Behältern, Geräten und Anlagenteilen müssen diese sorgfältig getrocknet und so aufbewahrt werden, dass sie bis zur erneuten Verwendung vor Verschmutzung geschützt sind. Bevor Änderungen an Anlagen und Geräten ausgeführt werden, muss der Einfluss der Änderung gemäss Change-Control-Verfahren bewertet werden. Dies schliesst die Installation von neuer Software (Patches, Updates) unbedingt mit ein und muss ggf. auch eine neue Validierung mit sich bringen.
3.4 Wartung und Instandhaltung
Nur regelmässig gewartete bzw. instandgesetzte Anlagen erfüllen den vorgesehenen Zweck, d.h. sind in ausreichend qualifiziertem (siehe Punkt 3.5) Zustand. Die Wartung muss zum festgelegten Zeitpunkt erfolgen. Kritische Anlagen sollten entsprechend geschützt und bestenfalls durch Redundanzen abgesichert sein. Der Wartungsauftrag muss alle für die Wartung vorgesehenen Tätigkeiten beschreiben. Alle bei der Wartung oder Reparatur durchgeführten Arbeiten müssen sorgfältig und detailliert dokumentiert werden. Die Protokolle müssen so archiviert werden, dass sie leicht auffindbar und vorweisbar sind.
Softwaregestützte Systeme unterliegen ferner den Regeln der Code of Federal Regulation (CFR) 21 Part 11 und müssen entsprechend validiert sein. Obschon der CFR eine US Vorschrift ist, ist diese mittlerweile weltweit als Stand der Technik anzusehen und entsprechend obligatorisch einzuhalten. Updates und Upgrades von Software müssen streng reglementiert und kontrolliert sein (Dokumentation und ggf. Validierung). Instandhaltungsdaten sollen auf Tendenzen analysiert werden, um entsprechende Korrekturmassnahmen einzuleiten.
Ungewöhnliche Beobachtungen jeglicher Art müssen an Produktion sowie Qualitätssicherung berichtet, von diesen bewertet und dokumentiert werden. Die Instandhaltung und Kontrolle von speziellen Werkzeugen und Formatteilen (Beispiel: Tablettierwerkzeuge) müssen gemäss SOP erfolgen. Nach Wartungs- oder Reparaturarbeiten müssen produktberührende Teile ggf. gereinigt werden. Nach Reparaturarbeiten muss ggf. neu kalibriert oder Ersatzteile müssen ggf. qualifiziert (siehe Punkt 3.5) werden. Die Dokumentation und Überprüfung am Ende sind hier als selbstverständlich zu verstehen.
3.5 Qualifizierung
Qualifizieren heisst im Grunde genommen nichts anderes als nachweisen, dass jemand oder etwas für eine bestimmte Aufgabe geeignet ist. Alle Gebäude, Räume, Geräte und Maschinen im GMP-Bereich müssen demnach qualifiziert sein, so dass sie für den vorgesehenen Zweck geeignet sind. Dabei kann der Aufwand unterschiedlich hoch sein.
Die Zielsetzung und der Umfang der Qualifizierung sind im Qualifizierungsmasterplan und in den einzelnen Qualifizierungsplänen für die einzelnen Stufen (Designqualifizierung, Design Qualification – DQ; Installationsqualifizierung, Installation Qualification – IQ; Funktions-Qualifizierung, Operational Qualification – OQ; Eignungs- und Leistungsprüfung, Performance Qualification – PQ) klar definiert. Jeder Qualifizierungsplan muss vor seiner Umsetzung genehmigt werden. Wenn während der Qualifizierung Änderungen oder Erweiterungen am Qualifizierungsplan notwendig sind, müssen sie ebenfalls bewertet, genehmigt und natürlich dokumentiert werden. Jeder Qualifizierung geht aber grundlegend auch noch eine Risikobewertung voraus, in der ggf. Massnahmen noch vor Aufnahme der Qualifizierungsarbeiten definiert werden.
Nach Durchführung der im Plan festgelegten Prüfungen wird ein Qualifizierungsbericht erstellt. In diesem zusammenfassenden Bericht muss eine Schlussfolgerung abgegeben und von den verantwortlichen Personen genehmigt werden. Sämtliche Veränderungen an qualifizierten Produktionsstätten bzw. Anlagen dürfen nur entsprechend dem Change-Control-Verfahren vorgenommen werden. Bevor die Veränderung genehmigt wird, beurteilen die dafür verantwortlichen Personen, ob eine Re-Qualifizierung notwendig ist. Auch Risiken müssen eventuell neu bewertet werden. Davon unbetrachtet sind bei computergestützten Systemen noch der Validierungsstatus der Software und, wie schon weiter oben erwähnt, die Einhaltung der CFR 21 Part 11 Konformität.
3.6 Kalibrierung
Alle Messgeräte oder Messanzeigen müssen regelmässig kalibriert werden, um jederzeit zu gewährleisten, dass der angezeigte bzw. ausgedruckte Messwert „richtig“ ist. Kalibrierungen sind daher zum festgelegten Termin durchzuführen und zu dokumentieren. Anlagen mit überfälliger Kalibrierung dürfen nicht mehr verwendet werden. Für eine detaillierte Betrachtung der Kalibrierungen von Überwachungsgeräten lesen Sie bitte hier.
Die Kalibriervorschriften enthalten die notwendigen Angaben über Kalibrierungsstandards, erlaubte Toleranzen und Kalibrierintervalle. Eingesetzte Referenzen müssen auf ein nationales oder internationales Messnormal durchgängig rückführbar sein (Akkreditierung nach ISO 17025). Es müssen detaillierte Aufzeichnungen über die Kalibrierung geführt werden.
Wenn die Ergebnisse der Kalibrierung abweichen, müssen umgehend die Produktion und die Qualitätssicherung verständigt und Messergebnisse des vorherigen Kalibrierintervalls neu bewertet werden. Dies kann bei zu grosser Abweichung auch zu einem Rückruf führen. Kalibrierdaten müssen im Hinblick auf Tendenzen und gegebenenfalls erforderliche Korrekturmassnahmen geprüft werden (Trending).
Mitarbeitende, die Kalibrierungen durchführen, müssen in eben diesem Bereich die ausreichende Kompetenz besitzen und diese durch Führen von bspw. Regelkarten regelmässig nachweisen. Eingesetzte Referenzen müssen ebenfalls periodisch durch eine akkreditierte Stelle nach ISO 17025 überprüft werden. Entsprechend sind auch hier Gerätelogbücher unabdingbar.
3.7 Computergestützte Systeme (IT-Systeme)
Kaum eine von uns ausgeführte Arbeit kommt in der heutigen Zeit ohne computergestützte Systeme zur Steuerung, Messung, Regelung, Datenbearbeitung, Datenübertragung, Datenaufzeichnung oder Alarmierung aus. Damit wir uns auf diese Computerdaten verlassen können, muss nachgewiesen werden, dass das Computersystem genau das tut, was wir von ihm erwarten (Computervalidierung).
IT- (Informations-Technologie) Systeme müssen in Übereinstimmung mit einem genehmigten Computervalidierungsplan validiert sein. Der Zugang zu IT-Systemen muss kontrolliert werden. Das bedeutet, dass nur solche Personen Zugriffsrechte erhalten, die für die speziellen Anwendungen geschult sind. Passwörter, Tokens, Chipschlüssel oder andere Mittel zur Authentifizierung von Benutzern dürfen niemals an andere Personen weitergegeben oder von mehreren Benutzern gemeinsam benutzt werden.
Änderungen an den IT-Systemen unterliegen ebenfalls dem Change-Control-Verfahren. Um GMP zu entsprechen, müssen Computerdaten in gleicher Weise wie „Papierdaten“ behandelt werden und deren Integrität muss aufrechterhalten werden: Löschung, Überschreiben oder Veränderung darf nicht möglich sein. Letzteres muss wenigstens in einem Audit-Trail nachweisbar bleiben. Sinnvolle Backup- und Desaster-Recovery-Verfahren müssen eingerichtet sein, falls das System über einen gewissen Zeitraum nicht verfügbar ist.
Bei der elektronischen Verarbeitung und Speicherung von Messwerten, Validierungsplandaten oder Berichten werden im Zusammenhang mit einer Zulassung eines Arzneimittels oder Wirkstoffes ausserdem folgende Anforderungen zugrunde gelegt: Code of Federal Regulations: CFR 21 Part 11 und Good Automated Manufacturing Practice (GAMP) 5.
CFR 21 Part 11 ist eine US Vorschrift, die für FDA-regulierte (FDA – Food and Drug Administration) pharmazeutische Industriezweige Kriterien definiert und sicherstellen soll, dass elektronische Aufzeichnungen und elektronische Unterschriften auf computerbasierten Systemen glaubwürdig und zuverlässig sind. Diese Norm gilt nur für Anlagen und Einrichtungen, die mit einem Computer verbunden sind und eine Software verwenden; sie ist weltweit als Stand der Technik angesehen und anzuwenden.
GAMP 5 hingegen ist ein Leitfaden und hat sich zum Standardregelwerk für die Validierung computergestützter Systeme in der pharmazeutischen Industrie (Hersteller und Zulieferer) entwickelt. Die GAMP-Regelwerke haben hier jedoch keine gesetzliche Bindung. Deshalb sind davon abweichende Formen der Validierung von computerisierten Systemen möglich.
Bleiben Sie informiert – GMP-Erkenntnisse – Teil 3 folgt bald!
Dieser Artikel wurden erstmals im deutschen Magazin, PM QM 2019, Heft 02/2019 veröffentlicht.
Um mehr über die weiteren GMP-Kapitel Dokumentation, Datenintegrität, Produktionsqualität, Validierung von Prozessen und mehr zu erfahren, lesen Sie den letzten Teil dieser Serie GMP-Erkenntnisse – Praktischer Leitfaden – Schritt für Schritt Teil 3 von 3.
Über den Autor:
Björn Niggemann ist seit April 2016 als Chief Quality Officer für die ELPRO-BUCHS AG tätig. Im Jahr 2004 wurde er zunächst mit der Einrichtung und Implementierung eines GMP-Systems auf Basis der bestehenden 17025 Akkreditierung beauftragt. Im Jahr 2007 baute er als Compliance Manager ein GMP-System für ein bestehendes GLP-System auf. Von 2009 bis 2010 arbeitete er bei einem Pharma-Dienstleister als GLP / cGMP als Quality Compliance Manager. Von 2010 bis 2016 arbeitete Bjoern in einem Schweizer Biotech-Unternehmen als Head of Operations and Quality. Noch heute leitet er den Arbeitskreis GDP der GQMA - Germany Quality Management Association e.V. und ist damit Mitglied im erweiterten Vorstand.
Referenzen:
[1] „compact GMP“ von Reinhard Schnettler und Dr. Christine Oechslein, 8. Auflage 2019, PTS Arnsberg. Bezugsquelle: PTS Training Service, Postfach 4308, D-59737 Arnsberg, www.pts.eu, info@pts.eu
[2] Broschüre „GMP und Qualitätssysteme"; Herausgeber Dr. Jürgen Werani, Gabriele Czeromin, Susanne Haas (jetzt Susanne Schweizer), Pfizer GmbH, Arzneimittelwerk Gödecke, 1996
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