Stabilitätsbudget 101: Frage- und Antwortrunde mit Fachleuten
Können Stabilitätsdaten wirklich die Lebensdauer Ihrer Produkte gewährleisten und verhindern, dass Ihr Unternehmen einen Millionenverlust erleidet?
Am Ende einer komplexen Beschaffungskette hat ein Pharmaprodukt viele Formulare, Labore, Städte, Container, Schachteln, Docks, Lastwagen, Lagerräume, Datenlogger und schliesslich einen Patienten oder eine Patientin gesehen. Wie können Sie wissen, dass das Produkt stets bei richtiger Temperatur und unter den richtigen Qualitätsbedingungen gehalten wurde – von der Beschaffung des Wirkstoffs und der Herstellung über mehrere Stufen des Vertriebs bis hin zum Patienten? Viele Unternehmen haben sich diese Frage bisher noch nie gestellt. Die Auditoren hingegen schon.
Sowohl europäische als auch US-amerikanische Pharmaverordnungen haben im Jahr 2015 neue Leitfäden für die gute Vertriebspraxis (Good Distribution Practice, GDP) für Wirkstoffe verfasst. Die Regulierungsbehörden im Pharmasektor bewegen sich offenbar hin zu einer umfassenden Transparenz von Arzneimitteln – vom Rohstoff über den Hersteller bis hin zum Patienten. Sie verlangen nicht nur einen Nachweis der Temperaturkontrolle über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg, sondern prüfen auch, wie Daten erhoben, gespeichert und für risikobasierte Entscheidungen genutzt werden. Erfahren Sie mehr zum Thema gute Vertriebspraxis für Wirkstoffe in diesem Artikel.
Wie lassen sich nun Abweichungen über mehrere Stufen einer komplexen und vollständig regulierten Beschaffungskette nachverfolgen? Die Antwort lautet: mit einem Stabilitätsbudget.
Was ist ein Stabilitätsbudget?
Egal, ob Sie es derzeit nutzen oder nicht – als Pharmahersteller haben Sie ein Stabilitätsbudget für Produkte. Das Pharmaentwicklungsteam erarbeitet anhand zahlreicher Stabilitätsstudien für jedes Produkt ein Stabilitätsprofil. Das Stabilitätsbudget verbindet massgebende Informationen aus Temperaturstudien mit verfügbaren Daten aus Stabilitätstests, um zu bestimmen, wie lange ein Produkt ausserhalb der angegebenen Lagerungsbedingungen aufbewahrt werden kann, ohne dass seine Qualität, Sicherheit oder Wirksamkeit beeinträchtigt werden.
Der Lebenszyklus eines Pharmaprodukts verläuft vom Wirkstoff über mehrere Stufen einer Beschaffungskette. In jeder Stufe wird ein Teil des Stabilitätsbudgets verwendet, um am Ende des Lebenszyklus zu bestimmen, ob die Verwendung des Produkts noch sicher ist oder nicht. Wenn Sie proaktiv ein Stabilitätsbudget erstellen und verwalten, müssen Sie im Rahmen des Qualitätsmanagements nicht in mehreren Stufen einer Lieferung manuell Abklärungen mit Auftragsforschungsinstituten und Übersetzern vornehmen, was Tage oder gar Wochen in Anspruch nehmen kann. Durch raschere Entscheidungen nach der Auslieferung können Verzögerungen bei der Verabreichung an die Patienten vermieden werden, und die Beschaffungskette kann unter Kontrolle gehalten werden.
Kommt den Stabilitätsdaten also eine Heldenrolle zu?
Mal ganz ehrlich. Wenn Sie mit Pharmaherstellern sprechen, werden Sie feststellen, dass es eigentlich kaum Beispiele von Fällen gibt, bei denen Produkte im Wert von mehreren Millionen Dollar weggeworfen werden mussten (obwohl es solche Fälle durchaus gibt!). Das heisst aber nicht, dass sie nicht tage- oder sogar wochenlang versucht haben, die Produkte zu «retten», indem sie manuell Abweichungsdaten aus verschiedenen Quellen und von Dritten ermittelt, Stufen in der Beschaffungskette, in denen etwas falsch gelaufen ist, untersucht und in Unterlagen gewühlt haben, nur um einen Monat später zum Schluss zu kommen, dass die ausgelieferten Medikamente verwendet werden dürfen. Hat der Hersteller in der Zwischenzeit neue Lagerbestände angeliefert, oder wurden klinische Tests verzögert, während all diese manuellen Prozesse stattgefunden haben?
Ansatz einer Branchenbenchmark
Eine Gruppe von Fachleuten, die sich mit den gleichen Herausforderungen in Bezug auf Temperaturkontrollen konfrontiert sah, traf sich 2015 zum Leading Minds Seminar. Während des zweitägigen Seminars kam das Gespräch immer wieder auf das Thema Stabilitätsbudget. Die Branchenexperten tauschten Ideen darüber aus, wie eine zentrale Datenbank genutzt werden kann, um Daten zu erfassen und mit deren Weitergabe den Vertrieb zu unterstützen, um alle Informationen an einem Ort zu haben, um Fragen zu Abweichungen sofort zu beantworten und um Abweichungen über die gesamte Beschaffungskette hinweg zu überprüfen.
Unter dem Titel «Community Forum Discussion: Stability Budget Approaches and their Benefits» (Forumsdiskussion: Stabilitätsbudgetansätze und ihre Vorteile) diskutierten Merck, AbbVie und ELPRO über ein spannendes Thema. Nachfolgend sind die Fragen und Antworten aus dieser Diskussion wiedergegeben.
Was ist der Unterschied zwischen einem Stabilitätsbudget und der Zeit ausserhalb der Kühlkette (Time out of Refrigeration, TOR)?
Die meisten gehen mit mir einig, dass diese zwei Begriffe synonym verwendet werden könnend. Für einige bezieht sich der Begriff TOR lediglich auf die Herstellung, und sobald das Produkt ausgeliefert ist, wird der Begriff Stabilitätsbudget verwendet. In der Regel wird die TOR im Herstellerbetrieb offiziell nachverfolgt.
Buchstäblich wird jedes Mal, wenn das Produkt aus dem Kühlschrank genommen und wieder hineingelegt wird, die Zeit erfasst und die TOR nachverfolgt. Am häufigsten wird der Begriff TOR wahrscheinlich verwendet, um den verbrauchten Anteil des festgelegten Stabilitätsbudgets zu bezeichnen (Stabilitätsbudget – TOR = verbleibendes Stabilitätsbudget [RSB]).
Man könnte dies auch als Zeit ausserhalb der kontrollierten Lagerung, Zeit ausserhalb des Tiefkühlers oder Zeit ausserhalb der Lagerung bezeichnen. Zurzeit gibt es Diskussionen zwischen grossen Pharmaunternehmen über die zu verwendende Standardterminologie.
Wie erstellen Sie ein Stabilitätsbudget?
Für jedes klinische (oft weniger verfügbare Daten) und kommerzielle Produkt werden obere und untere Grenzwerte definiert, die die Stabilität des Produkts gewährleisten. Unser Entwicklungsteam legt diese Parameter im Rahmen von ICH-Stabilitätstests fest. Ein Stabilitätsbudget kann auf verschiedene Weise implementiert werden; das Grundprinzip ist jedoch, jeder Stufe der Beschaffungskette einen Teil des Stabilitätsbudgets zuzuweisen. Indem Sie ermitteln, wie viel Stabilität auf jeder Stufe «verbraucht» wird, kennen Sie Ihre Gesamt-TOR und wissen, wie viel Stabilitätsbudget Sie noch haben.
Ein Budget muss immer eine «Reserve» für die Patientenstufe sowie eine «Extraeinheit» für den Notfall beinhalten.
Mögliche Aufgliederung des Stabilitätsbudgets:
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Herstellung (+9 °C..+25 °C)
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Verpackung (+9 °C..+25 °C)
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Lagervorgänge (+9 °C..+25 °C)
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Transport (durch Daten bestimmt)
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Benutzer (+9 °C..+25 °C)
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Abweichungen (durch Daten bestimmt)
Jeder dieser Einheiten wird ein Teil des Budgets zugewiesen. Die nachfolgende Abbildung 1.1 zeigt ein Beispiel eines Stabilitätsbudgets.
Wie verfolgen Sie ein Stabilitätsbudget während des Produktlebenszyklus?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, ein Stabilitätsbudget zu verwalten oder nachzuverfolgen.
Eine Variante ist der «manuelle» Ansatz. Hierbei wird jede Stufe auf Abweichungen überprüft, und eine Person erfragt bei den Akteuren der Beschaffungskette, wie viel Budget noch vorhanden ist, und zählt die Abweichungen zusammen.
Beim «vertriebsbezogenen» Ansatz wird das ungenutzte Stabilitätsbudget aus der vorgelagerten Stufe für nachgelagerte Stufen verwendet. Sie können jedoch nie das Budget aus nachgelagerten Stufen verwenden.
Ein modernerer, automatisierter Ansatz ist das Vorantreiben des verbleibenden Stabilitätsbudgets (RSB). Mit den ersten beiden Ansätzen können Sie das Budget vom vorgelagerten Akteur manuell aufnehmen, um die nachgelagerte Stufe oder den Datenlogger für den nächsten Transport zu programmieren. Mit dem moderneren RSB-Ansatz und mit Hilfe einer ERP-Integration werden die Datenlogger des nachfolgenden Transports programmiert. Dabei wird eine Chargenprotokollnummer aus dem ERP-System verwendet, die das Budget über den gesamten Lebenszyklus nachverfolgt, unter Abzug des verbrauchten Budgets.
Wann ist ein Stabilitätsbudget verfügbar, und für wen?
Wie die meisten Initiativen im Bereich Temperaturdaten muss das Stabilitätsbudget vom Produkthersteller aufgestellt werden. Dieser ist auch der Eigentümer des Budgets, sodass sichergestellt ist, dass Daten nicht verfälscht, verändert oder anderweitig manipuliert werden. Bei einigen Herstellern wird das Budget von der Qualitätssicherung kontrolliert. Sie gewähren den Partnern in der Beschaffungskette oder den Kunden nur Zugang zu dem Teil des Budgets, den sie verwalten und kontrollieren müssen, solange sie dafür verantwortlich sind.
Für einige Abteilungen innerhalb der Beschaffungskette hat es sich als schwierig erwiesen, vom Herstellerteam oder von der Herstellerabteilung das gesamte Stabilitätsbudget zu erhalten, beispielsweise dann, wenn sie sich auf einem anderen Kontinent befinden. Am besten fragen Sie immer wieder nach, ermitteln die zuständige Person beim Hersteller oder haken nochmals bei der Pharmaabteilung nach.
Stabilitätsbudgets – beschleunigte Stabilitätstests – werden während der Produktentwicklung vom Hersteller durchgeführt.
Wer erstellt ein Stabilitätsbudget?
Die Antworten auf diese Fragen fielen je nach Organisation unterschiedlich aus: Analyseabteilung, Qualitätssicherung, Produktqualität, verschiedene Genehmigungsebenen.
Wer bzw. welche Abteilung verwaltet ein Stabilitätsbudget?
Jene, die Erfahrung mit einem Stabilitätsbudget haben, beharrten darauf, dass die Daten vom Entwicklungsteam kommen. Aber die Qualitätssicherung verwaltet das Budget immer kontinuierlich innerhalb der Beschaffungskette.
Berücksichtigt ein Budget regionale Unterschiede?
Ja, das ist möglich. Die Qualitätssicherung und die Logistik müssen gemeinsam entscheiden, ob einige schwierigere Profile zu gewissen Zeiten mehr Einheiten erhalten sollen, beispielsweise in nördlichen Regionen in den Wintermonaten.
Welche Art von Tests und wie viele Tests sind nötig?
Das Analyse- oder Entwicklungsteam hält sich strikt an die ICH-7-Richtlinien für standardmässige und beschleunigte Stabilitätstests. Mehr Informationen dazu finden Sie auch PDA TR 53.
Welche Produkte benötigen ein Stabilitätsbudget?
Alle Produkte.
Wo endet ein Stabilitätsbudget?
Bei der Verabreichung an den Patienten bzw. beim Konsum. Siehe Erläuterungen weiter oben zu den Einheiten des Stabilitätsbudgets.
Wie werden unbekannte Grössen im Budget berücksichtigt?
Die meisten Diskussionsteilnehmer und Zuhörer waren sich einig, dass immer eine «Extraeinheit» verfügbar sein sollte, um realistische Notfälle in das Budget einzubauen.
Was sind die Vorteile eines Stabilitätsbudgets?
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Weniger entsorgte Produkte
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Einsparung von Logistik- und Verpackungskosten
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Transparenz bei den Prozessen = stabil
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Optimierter Lagerbestand
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Nutzen für Patienten und Kunden
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Weniger Dokumentation und Warnmeldungen durch die Verwendung vorprogrammierter mehrstufiger Datenlogger für Alarmmeldungen
Die Diskussion während des Seminars hätte noch lange weitergeführt werden können, da dieses Thema von grossem Interesse war. Ein Teilnehmer sagte: «Wir müssen eingehender über ein umfassendes Stabilitätsbudget nachdenken. Wir haben temperaturbezogene und zeitliche Kriterien für den Transport, die über die angegebenen Lagerungsbedingungen hinausgehen. Wir haben derzeit keinen Prozess, um diese Abweichungen nachzuverfolgen, falls sich diese während des Lebenszyklus des Produkts mehrfach ereignen.»
Jemand anders gab nach der Veranstaltung die folgende Rückmeldung: «Unsere Branche ist mit neuen Vorschriften konfrontiert. Wir brauchen neue Technologien, um mit der betrieblichen Effizienz Schritt zu halten, damit wir die Produktintegrität und die Kostenfaktoren unter Kontrolle haben.»
Das Thema Stabilitätsbudget wird in Branchenverbänden rege diskutiert. Es ist wichtig festzuhalten, dass es jede Menge Empfehlungen, aber keine absolute Methode gibt, um ein Stabilitätsbudget zu erstellen. Die PDA-PCCIG-Gruppe hat den «Technical Report 53» verfasst, der Schritte zur Implementierung eines Stabilitätsbudgets erläutert und als Anleitung dienen kann.
Die Verwendung eines Stabilitätsbudgets für jedes Produkt ist für die meisten Unternehmen derzeit noch ein zu neues Konzept. Pharmahersteller müssen bestehende manuelle und vertriebsbezogene Ansätze für ihre Produkte anwenden, damit die Angelegenheit ins Rollen gebracht wird. Es bleibt zu hoffen, dass eines Tages der RSB-Ansatz in der ganzen Branche Anwendung findet, sodass effiziente und automatisierte Entscheidungen für die Produkteinführung und die Qualitätskontrolle sichergestellt sind.ne weitere wichtige Frage, die sich Unternehmen ohne Stabilitätsbudget stellen müssen, ist: Wie können wir unseren Patienten gewährleisten, dass ihre Medikamente sicher sind?
Finden Sie unter leading-minds-network/seminars heraus, wann das nächste Leading Minds Seminar in Ihrer Nähe stattfindet, um an den Diskussionen mit führenden Branchenvertretern teilzunehmen.
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