Herausforderungen in der Kühlkette patientenspezifischer ATMPs meistern
Leading Minds Network Panel Discussion:
Dies ist die Zusammenfassung einer Podiumsdiskussion, die das ELPRO Leading Minds Network im Rahmen seines Programms Temperature Control Tuesdays™ in Zusammenarbeit mit der Cold Chain Platform und PCI Pharma Services veranstaltet hat. An dieser Sitzung nahmen Hedley Rees von PharmaFlow Ltd., Jackie (Heneghan) Peck von Pharmacy Consulting und Gavin Morgan von PCI Pharma Services teil.
Der rasch expandierende Biotechsektor der Zell- und Gentherapien bringt nicht nur neue Medikamente hervor, sondern schafft buchstäblich einen neuen Ansatz für die Gesundheitsversorgung auf der ganzen Welt. In einem von der American Society of Gene and Cell Therapy zusammen mit Pharma Intelligence veröffentlichten Highlight-Bericht für das Jahr 2021 wird geschätzt, dass sich weltweit 3.400 Zell-, Gen- und RNA-Therapien in der Pipeline befinden. Aus einer von Cell and Gene Therapy Catapult veröffentlichten Prognose geht hervor, dass sich die Anzahl der in diesem Sektor Beschäftigten bis zum Jahr 2024 verdoppeln wird. Darüber hinaus wird für das Jahr 2026 ein Fachkräftebedarf von 10.000 Arbeitsplätzen im Bioprocessing prognostiziert, was einem Anstieg von 151 % gegenüber heute entspricht. Zu den Arzneimitteln für neuartige Therapien (ATMP) gehören Gen- und Zelltherapien sowie Produkte aus Gewebezüchtungen.
Die folgenden Biologika zählen zu den ATMPs:
- Allogene Produkte – diese sind nicht patientenspezifisch. Sie können allen Patienten mit einem bestimmten Leiden helfen, das eine Behandlung nötig macht.
- Autologe Produkte – diese werden spezifisch für den Patienten entwickelt. Die Basis des Produkts ist der Patient selbst, und das Produkt wird ausschliesslich bei diesem Patienten angewandt.
Die Podiumsdiskussion befasst sich mit der komplexen Lieferkette für autologe Produkte. Jackie (Heneghan) Peck, Pharmacy Consulting, erwartet speziell für autologe Produkte ein Wachstum, da Nebenwirkungen bei der Verwendung patienteneigener Zellen anstelle von Spenderzellen deutlich geringer sind.
Hedley Rees, Pharmaflow Ltd., beschreibt den Ablauf einer autologen klinischen Studie: Arzt und Patient entscheiden gemeinsam über die Notwendigkeit einer spezifischen Therapie, beispielsweise eine CAR-T-Zell-Therapie bei Blutkrebs. In der Klinik werden dem Patienten Zellen entnommen, eine Apherese wird durchgeführt und die Zellen werden kryogen, d.h. bei Tiefsttemperaturen, eingefroren. Ab dem Zeitpunkt der Abholung müssen die Zellen lückenlos rückverfolgbar sein. Denn würden dem Patienten später die falschen Zellen verabreicht, würde dies den sicheren Tod bedeuten. Der Patient ist sowohl die Quelle als auch das Ziel der Lieferkette.
Laut Rees stellen die neuartigen, patientenspezifischen ATMPs eine der grössten Herausforderungen für Lieferketten dar, die die Welt je gesehen hat. Noch während die Tests laufen, werden ATMPs häufig schon in die nächsten Stufen der Lieferkette überführt. Deshalb ist es wichtig, vor der Wiederverabreichung an einen Patienten alle Details zu berücksichtigen. Aus logistischer Sicht ist im Vorfeld viel Arbeit zu leisten.
Die Lieferkettenlogistik gestaltet sich ausserdem schwierig, da in diesem Prozess laut Gavin Morgan, PCI Pharma Services, nur ein sehr kleines Zeitfenster zur Verfügung steht. Der Grund: menschliche Zellen reagieren äusserst empfindlich auf Zeit- und Umgebungsfaktoren. Erschwerend kommt hinzu, dass viele wichtige Akteure in der Lieferkette eingebunden sind, u.a. Ärzte, Kuriere und Drittanbieter von Logistikdienstleistungen (3PL). Jeder zusätzliche Beteiligte erhöht die Risiken für eine erfolgreiche Lieferung. Die folgende Grafik veranschaulicht den Ablauf einer CAR-T-Zell-Infusion.
Grafik mit freundlicher Genehmigung von Hedley Rees, PharmaFlow Ltd.
Hinweis: 3PL = Drittanbieter von Logistikdienstleistungen (Third Party Logistics Provider)
Herstellung von CAR-T-Medikamenten durch akademische medizinische Einrichtungen: “Das Unternehmen benötigt zwischen zwei und sechs Wochen, um die genetisch-veränderten Zellen herzustellen, sie zu vermehren, Qualitäts- und Sicherheitstests durchzuführen und die Zellen an das Krankenhaus zurückzuschicken, damit sie dem Patienten wieder per Infusion verabreicht werden können“.
Während der gesamten Diskussion konzentrieren sich die Diskussionsteilnehmer auf drei grosse Herausforderungen und deren Bewältigung.
Herausforderung 1: Den richtigen Standort für die klinische Studie finden
Laut Morgan führen viele Sponsoren Machbarkeitsstudien für die Ermittlung der passenden Standorte durch. Diese müssen mit Just-in-Time-Lieferungen (JIT) umgehen können und es muss möglich sein, die Probe abzuholen und sie innerhalb des vorgegebenen Zeitrahmens an den gewünschten Ort zu bringen. Insbesondere im asiatisch-pazifischen Raum (APAC) werden laut Morgan sehr häufig Proben von einem Land in ein anderes verschickt, da sich viele Länder in unmittelbarer Nähe zueinander befinden. Dabei ist die Einfuhr bei einigen Länder zeitaufwändiger als bei anderen. «Sorgen Sie dafür, dass die erforderlichen Unterlagen vorliegen. Dann können Sie Ihre Genehmigung so rechtzeitig erhalten, dass die Proben sicher am Zielort ankommen», sagt Morgan und empfiehlt, mögliche Einfuhrorte vorab einer Prüfung zu unterziehen, um die Transportdauer möglichst kurz zu halten.
Herausforderung 2: Die Suche nach dem richtigen Hersteller
Sponsoren sollten darauf achten, die Herstellung räumlich so nah wie möglich beim Patienten vorzunehmen. Es wäre ideal, so Morgan, wenn Krankenhäuser dies buchstäblich auf dem Campus oder in der unmittelbaren Nähe tun könnten, doch wird dies nicht über Nacht gelingen. Derzeit können Studien dieser Art nicht in Regionen durchgeführt werden, die weit abgelegen sind von möglichen Produktionsstandorte und/oder in denen kein entsprechende Infrastruktur vorhanden ist. Morgan empfiehlt, dass mehr Produktionsstätten in der Nähe der Studienteilnehmer und weltweit verteilt aufgebaut werden müssten, damit die Abholungen weniger häufig in der APAC-Region stattfinden müssen.
«Da die Herstellung von Biologika schwieriger ist als die von kleinen Molekülen in der Chemieindustrie haben wir kaum eine Wahl bezüglich der eingesetzten Anlagen. In gewissem Sinne muss hier eine ganz neue Denkweise Einzug halten“, so Rees.
«Selbst wenn die Studie an einem entwickelten Standort durchgeführt wird, kann man nicht von jedem beliebigen Hersteller erwarten, dass er sich mit der genetischen Veränderung und dem Umgang mit Biologika, Lebewesen, Zellen usw. auskennt. Die Prozesse zur Bestimmung der Stabilität, die Durchführung von Gefrier-Auftau-Studien und der gesamte Freigabeprozess für diese Produkte sind eine Herausforderung», sagt Rees und empfiehlt zu recherchieren, welche Unternehmen diesbezüglich am effizientesten sind. Das Unternehmen muss in der Lage sein, GDP- und GMP-Anforderungen gründlich und schnell umzusetzen.
Herausforderung 3: Lieferunterbrechungen
Vorabplanung und -koordinierung machen eine Rückwärtsplanung erforderlich. Sobald die Empfänger für den Versand der Produkte festgelegt wurden, muss geklärt werden, welche Versandsysteme diese Lieferungen innerhalb des vorgegebenen Zeitrahmen ermöglichen. Peck empfiehlt den betroffenen Unternehmen, vorab einen Testlauf auf der geplanten Route durchzuführen. Auf diese Weise könne möglichen Herausforderungen erkannt werden, noch bevor das eigentliche Produkt auf diese Reise geht.
Die Podiumsteilnehmer betonen, dass alle Beteiligten und ihre Stellvertreter ihre Aufgaben, Zuständigkeiten und die für eine erfolgreiche Lieferung erforderlichen Fristen kennen müssen. Auch die Lesbarkeit kann innerhalb von Lieferketten ein Problem darstellen. Wenn für einen Prozess eine lesbare, dokumentierte Unterschrift erforderlich ist, kann das Produkt problemlos jederzeit verfolgt werden. Ausserdem sollten die Datenlogger für die Temperaturüberwachung, die ausserdem den geografischen Standort aufzeichnen, das Produkt vom Ausgangspunkt bis zum Lieferort begleiten.
Abweichungen
«In der Logistik und in Krankenhäusern kann einiges schief gehen, insbesondere bei einer Pandemie», so Peck. Bei ATMPs steht nicht genügend Zeit zur Verfügung, um jede Abweichung detailliert zu untersuchen und zu genehmigen, wie dies bei anderen Produkten üblich ist. Die Verantwortlichen müssen vorab die festgelegten Temperaturbereiche kennen, in denen Medikamente sicher verabreicht werden können.
Dokumentation
Im Gegensatz zum Versand von Blutproben für Tests sind für die Ausfuhr von Blutproben zur weiteren Verwendung viele verschiedene Dokumente und Genehmigungen erforderlich.
Morgan warnt: «Sie wollen natürlich nicht, dass eine solche Probe in einem Land ankommt und einfach am Einfuhrort liegen bleibt.»
Die Produkte müssen Qualitätskontrollen durchlaufen. Morgan fügt hinzu, dass in den Zolldokumenten teilweise angegeben werden muss, dass das Versandsystem zur Wiederverwendung zurückgebracht wird. «Es muss auf der Proforma-Rechnung mit einer entsprechenden Wertangabe aufgeführt sein. Das gehört zu den Verantwortlichkeiten des CMO oder des 3PL. In einigen Ländern lässt sich das umgehen. In anderen Ländern ist es nur möglich, vor Ort zu produzieren», so Morgan.
China beispielsweise hat laut Morgan strenge Vorschriften für die Ausfuhr von menschlichem Gewebe oder Blutproben. Die Besorgung der benötigten Ausfuhrgenehmigungen kann zwei oder auch drei Monate dauern. In Singapur ist das hingegen weniger schwierig.
Bei der Einfuhr in die USA gelten für diese Art von Produkten dieselben GMP- und GDP-Vorschriften der FDA und des Zolls wie für jede Art von Materialien für klinische Versuche. Als Versender bereits bekannt 3PL können laut Morgan möglicherweise das Durchleuchten von Proben mit Röntgenstrahlen vermeiden und den Ausfuhrprozess schneller durchführen.
Komplexität der Lieferung
Die Produkte sollten gezielt an den vorgesehenen Empfänger ausgeliefert werden anstatt als Ware an einer Laderampe abgestellt zu werden. Auf der Abhol- und Empfangsbescheinigung sollten die Namen von zwei oder drei Mitarbeitern vermerkt sein, deren Unterschriftsproben als Nachweis ihrer Unterschriftsberechtigung vorliegen. So können diese bei Abwesenheit des zuständigen Mitarbeiters für das Material unterschreiben.
Rees weist darauf hin, dass verschiedene Krankenhäuser unterschiedliche Regeln haben können. In der Regel ist die Apotheke der Zugang zum Krankenhaus. Darüber hinaus gibt es oftmals spezielle Regeln für die Freigabe von Produkten im Krankenhaus. Fahrzeuge benötigen möglicherweise eine spezielle Erlaubnis, um Zugang zur Einrichtung und/oder zu einem vorgegebenen Parkplatz zu erhalten. Bei der Abholung und auf der Quittung sollte der Lieferort angegeben sein, trotzdem können Fahrer sich leicht irren. Selbst wenn der Fahrer mit dem Krankenhaus vertraut ist, kann es vorkommen, dass die Lieferung stattdessen an ein Lager ausserhalb des Krankenhauses erfolgen sollte. Laut Peck müssen die Fahrer informiert, geschult und umfassend in ihre Aufgabe eingewiesen werden und dürfen sich nicht nur auf die Angaben auf einem Etikett oder einem Lieferschein verlassen.
Während der Pandemie, so Morgan, wurde Kurieren im Krankenhaus der Zugang aufgrund von Covid-19 verwehrt. Kuriere benötigen möglicherweise sogar eine Vorabgenehmigung oder spezielle Anweisungen, um Zugang zur richtigen Abteilung zu erhalten, und sie sollten von der Abteilung erwartet werden.
Darüber hinaus gibt es weitere Vorschriften zu beachten. Die Allgemeine Datenschutzverordnung der EU (GDPR) sollte festlegen, was mitgeteilt werden darf und was nicht, oder wie es codiert oder mit einem Strichcode versehen wird.
Komplikationen bei der Abholung
Kliniken und Krankenhäuser sind normalerweise mit dem Umgang mit gekühlten Blutproben vertraut. Sie sind vielleicht auch an 15 °C bis 25 °C und sogar an Trockeneislieferungen gewöhnt, nicht aber an den Empfang von LN2-Lieferungen. Zell- und Gentherapien werden aber häufig in flüssigem Stickstoff verschickt. Die Standorte sollten auf den sicheren Umgang mit Versandmaterial und Produkt vorbereitet sein. Andernfalls müssen geschulte Kurier mit der Abwicklung der Sendung beauftragt werden.
Peck findet es ausserordentlich schwierig sicherzustellen, dass die Mitarbeiter in der gesamten Lieferkette in Sachen Sicherheit geschult und jederzeit auf dem Laufenden gehalten werden.
Auswirkungen von Covid-19 auf Lieferketten
Wenn die Nachfrage nach Produkten hoch ist, wird erkennbar, wie wichtig eine funktionierende Lieferkette ist. Die Kapazität der Lieferkette wird durch ihre Engpässe eingeschränkt. Rees erläutert, wie Covid-19 Engpässe an unerwarteten Stellen verursachte und die Betroffenen zwang, diese effektiv zu bewältigen. Die massive Bereitstellung von Impfstoffen hat sogar die Standards an vielen Standorten verbessert, da Fristen und Erwartungen eingehalten werden mussten.
Peck fügt hinzu, dass die Unternehmen Katastrophenpläne für den Fall der Nichtverfügbarkeit von Mitarbeitern und zusätzliche Schulungspläne für Gesundheit und Sicherheit erstellen mussten, um eine lückenlose Compliance sicherzustellen. Inzwischen sind mehr Mitarbeiter in der Lage, mit verschiedenen Arten von Behältern und Verpackungsmaterialien umzugehen.
Morgan beschreibt, wie Covid-19 die Unternehmen dazu zwang, neue Absicherungspläne einzuführen. «Aufgrund des Passagiermangels wurden Passagierflüge häufig in letzter Minute gestrichen, da Fluglinien ihr Geld mit Passagieren, nicht mit Fracht machen. Kuriere mussten eine Alternative für ihre Lieferungen finden. Einige Kuriere charterten ihre eigenen Flüge, da Frachtflüge in der Regel nicht die für ATMPs erforderlichen Fristen einhalten können.»
Abschliessende Überlegungen
Die Prozesskosten sind das Ergebnis der geringen Anzahl von Patienten, ungünstig gelegenen Produktionsstandorten und der komplexen Lieferkette. Die Beteiligten müssen sich zusammentun und den Prozess optimieren, um Produkte verfügbar und erschwinglich zu machen.
Leave a Comment